Vor anderthalb Jahren hat der britische Pop- und Rocksuperstar Elton John seine Abschiedstournee beendet. Ein Abschied von der Musik soll es allerdings nicht sein. Einmalige Auftritte hat der 77-Jährige, der für Hits wie «Rocket Man», «Tiny Dancer» und «Candle In The Wind» berühmt ist, auch nicht ausgeschlossen. Dennoch markierte das Ende der «Farewell Yellow Brick Road»-Tournee eine deutliche Zäsur im Leben von Sir Elton. Das dokumentiert der Film «Elton John: Never Too Late», der ab sofort beim Streamingdienst Disney+ abrufbar ist.
Regie führten der Dokumentarfilmer R. J. Cutler und Elton Johns Ehemann David Furnish. Einen Dokumentarfilm über jemanden zu drehen, dem man persönlich so nahe steht, empfand Furnish als besondere Herausforderung. «Es ist schwieriger, weil es einen emotional berührt», sagte der 62-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London, «besonders wenn man über Themen wie Sterblichkeit und das Ende von etwas spricht, das eine Person fast ihr gesamtes Leben definiert hat.»
Das Archivmaterial, das zur Verfügung stand, hätte vermutlich für eine ausführliche Doku-Serie gereicht. Doch der Film ist, anders als das Musical-Drama «Rocketman» von 2019, keine chronologische Biografie Elton Johns und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Die 80er und 90er Jahre sind beispielsweise überhaupt kein Thema. Furnish und Cutler zeigen stattdessen Ausschnitte aus Johns Leben und konzentrieren sich auf zwei wesentliche Phasen – als er in den 1970er Jahren seine Homosexualität öffentlich machte und als er Anfang der 2020er von der großen Bühne abtrat.
«Es geht um zwei Entscheidungen», sagte Cutler im dpa-Interview. «Die erste trifft Elton John, als er sich auf dem absoluten Höhepunkt seines Ruhms als Rock’n’Roll-Ikone befindet und doch persönlich zutiefst unglücklich ist. Er outet sich und zeigt, wer er ist – in einer Zeit, als der Preis für solche Offenheit extrem hoch sein konnte. Die zweite Entscheidung trifft er zu einem späteren Zeitpunkt in seinem Leben: Er gibt die letzte große Sucht seines Lebens auf, das Touren, um bei seiner Familie zu sein.»
Den Rahmen für den rund 100-minütigen Dokumentarfilm bilden zwei Konzert-Ereignisse der Superlative in Los Angeles. In der US-Metropole trat Elton John im Oktober 1975 an zwei Abenden vor 110.000 Menschen auf und etablierte sich damit wohl endgültig als Weltstar. Privat aber fühlte er sich einsam. Außerdem zeigt ihn der Film als nicht mehr einsamen, liebevollen Familienvater, der vor seiner Rückkehr in das riesige Dodger-Stadion für drei Konzerte im Dezember 2022 nachdenklich wirkt.
Das Publikum erlebt ein paar überraschend persönliche und bewegende Momente, wenn der beliebte Musiker offen über seine Sterblichkeit spricht. Mit 63 sei er schon alt gewesen, als er Vater wurde, und wolle deshalb nun so viel Zeit wie möglich mit seinen beiden Kindern verbringen. «Ich möchte sehen, wie sie heiraten und Kinder bekommen», sagt Elton John spürbar emotional, «aber ich glaube nicht, dass ich das noch erleben werde.»
Abgesehen von solchen Interview-Szenen spricht der Sänger mit dem Faible für auffällige Brillen in der Dokumentation aus dem Off. Einfluss auf die kreative Richtung habe John nicht gehabt, betonte Furnish. An der Produktion sei sein Mann gar nicht verantwortlich beteiligt gewesen. «Er kennt mich ja und hat mir natürlich vertraut», sagte der 62-Jährige. «Elton ist sehr gut darin, seinen Mitarbeitern zu vertrauen, und er möchte nicht involviert sein. Er will es erst sehen, wenn es fertig ist.»
Am besten ist der Film, wenn er die persönliche Seite von Sir Elton zeigt. Das aber tut er nur in Ansätzen. Allzu viel Neues erfährt man dabei bis auf wenige Momente leider nicht. Auch wirkt der Film insgesamt etwas zusammengewürfelt und der erzählerische Rahmen mit den beiden Los-Angeles-Auftritten etwas forciert, zumal die Tournee danach noch weiterging.
Trotzdem ist «Elton John: Never Too Late» einigermaßen kurzweilig. Das liegt einerseits an den vielen faszinierenden Archivaufnahmen und andererseits daran, dass Sir Elton John eine der schillerndsten und interessantesten Persönlichkeiten der Rock- und Popgeschichte ist.
Quelle: dpa