Nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad in Syrien und dem Rückzug seiner Truppen ringen verbleibende Milizen teils weiterhin um die Kontrolle. In der wichtigen nordsyrischen Stadt Manbidsch kämpften Türkei-nahe Milizen bis zuletzt mit Kurdenmilizen, die von den USA unterstützt werden. Der Kommandeur der kurdisch angeführten SDF, Maslum Abdi, kündigte nun einen Rückzug aus Manbidsch an nach einer Waffenruhe mit den Türkei-nahen Kämpfern. Hier und in anderen Landesteilen könnte es aber weitere Kämpfe geben.
Die Türkei will die Kurdenmilizen Experten zufolge östlich des Flusses Euphrat drängen, möglicherweise für einen weiteren Vormarsch der protürkischen Gruppen bis zur syrisch-kurdischen Grenzstadt Kobane. Die Kämpfe auch nach dem Sturz Assads zeigen, dass viele Gebiete Syriens außerhalb der Kontrolle der Islamistengruppe HTS bleiben, die Assads Regierung nach einer Blitzoffensive stürzte. Unklar ist auch, ob die von Ankara unterstützte Syrische Nationalarmee (SNA) den neuen Regeln der Übergangsregierung folgen wird, die in Damaskus die Arbeit aufnahm.
Dort kündigte der neue Regierungschef Mohammed al-Baschir, der zunächst bis März amtieren soll, eine versuchte Rückkehr zur Normalität an. Sicherheit und Stabilität solle in allen Städten des Landes wiederhergestellt werden, sagte er der italienischen Zeitung «Corriere della Sera». Al-Baschir war zuvor Regierungschef in der Rebellenhochburg Idlib im Nordwesten, von der aus HTS die Offensive auf Damaskus und weitere Großstädte gestartet hatte.
Im Bürgerkrieg ab 2011 wurde rund 14 Millionen Menschen vertrieben, etwa die Hälfte davon flüchtete ins Ausland. Al-Baschir rief sie zur Rückkehr in ihre Heimat auf. «Syrien ist jetzt ein freies Land, das seinen Stolz und seine Würde wiedererlangt hat. Kommen Sie zurück!», sagte er.
Aus der Türkei, wo zuletzt mehr als drei Millionen syrische Flüchtlinge lebten, machten sich weiterhin Syrer auf den Weg zur Grenze – ein großer Ansturm blieb aber aus. Am Grenzübergang Öncüpinar standen nur Dutzende an, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur berichtete. Seit dem Sturz Assads sollen hier und an einem Übergang weiter westlich ab Montag etwa 1.700 Menschen die Grenze überquert haben.
Neben Ungewissheit darüber, welche Form von Regierung und Gesellschaft das Rebellenbündnis um HTS in Syrien anstrebt, bleiben auch Sorgen über den weiteren Einfluss anderer Staaten. Die erklärten Erzfeinde Israel und Iran trugen ihren Konflikt jahrelang in und über Syrien miteinander aus. Der Iran war neben Russland, das wichtige Militärbasen am Mittelmeer unterhält, der wichtigste Unterstützer der Assad-Regierung.
Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei äußerte sich erstmals zum Sturz Assads und machte seine Erzfeinde USA und Israel verantwortlich. «Es darf keinen Zweifel geben, dass das, was in Syrien geschehen ist, das Ergebnis eines gemeinsamen amerikanisch-zionistischen Plans ist», sagte der Religionsführer laut dem staatlichen Rundfunk in Teheran. Dafür habe der Iran auch Beweise. Auch eine «Nachbarregierung» spiele eine Rolle, sagte er wohl in Anspielung auf die Türkei.
Israel schickte unterdessen scharfe Warnungen an die neuen Machthaber in Damaskus. Jede Bedrohung für Israel werde unerbittlich bekämpft, machte Regierungschef Benjamin Netanjahu deutlich. Er hatte zuvor die fast restlose Zerstörung der militärischen Fähigkeiten des Nachbarlandes befohlen. Als Ziel der Bombardierung militärischer Einrichtungen nannte Netanjahu, dass diese nicht in die Hände von Dschihadisten fallen.
Die Befürchtungen westlicher Staaten, dass das Blutvergießen in Syrien nach dem Sturz Assads weitergehen könnte, seien «unnötig», sagte HTS-Anführer Ahmed al-Scharaa, der zuvor unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dschulani auftrat, dem Nachrichtensender Sky News.
Über öffentliche Äußerungen der Rebellengruppe zu Israels massiven Luftangriffen, bei denen nach Armeeangaben mehr als 480 Ziele in Syrien bombardiert wurden, ist bislang nichts bekannt. Die Marine des Nachbarlandes wurde laut Israels Verteidigungsminister Israel Katz praktisch komplett versenkt. Netanjahu drohte mit harten Konsequenzen, sollte «das neue Regime in Syrien dem Iran erlaubt, sich wieder zu etablieren».
Quelle: dpa