Merkels Memoiren

Merkel: «Klar, dass ich et­was Besonderes erleb­te»

21. November 2024 , 06:26 Uhr

16 Jahre hat sie Deutschland regiert und auch die Geschicke der Welt mit beeinflusst. Nun legt Angela Merkel ihre Erinnerungen als Buch vor. Was sie über Putin, Trump und Schröder zu berichten weiß.

Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Amtszeit den Wunsch der Ukraine nach einem schnellen Nato-Beitritt auszubremsen versucht, weil sie bereits damals eine militärische Antwort Russlands befürchtete. Das berichtet die 70-jährige Christdemokratin in ihren am Dienstag erscheinenden Memoiren, aus denen die «Zeit» vorab einen Auszug veröffentlicht hat. In dem Buch mit dem programmatischen Titel «Freiheit» beschreibt Merkel denkwürdige Begegnungen mit SPD-Kanzler Gerhard Schröder, dem damaligen und künftigen US-Präsidenten Donald Trump sowie Russlands Präsidenten Wladimir Putin. 

Und sie bezieht Position auch in einer aktuellen Entwicklung: Sie bekennt, dass sie sich einen Sieg der demokratischen US-Präsidentschaftsbewerberin Kamala Harris gewünscht habe, und zwar «von Herzen», wie sie schreibt.

Was berichtet Merkel worüber?

Die Entscheidung, einen Nato-Beitrittsstatus für die Ukraine zu verhindern

Ihre Politik gegenüber der Ukraine wird Merkel in Kiew bis heute vorgehalten. Über den entscheidenden Nato-Gipfel 2008 in Bukarest, als es um einen Plan für einen Beitrittskandidaten-Status der Ukraine und Georgiens ging, schreibt die damalige Kanzlerin: «Ich ver­stand den Wunsch der mit­tel- und ost­eu­ro­päi­schen Län­der, so schnell wie mög­lich Mit­glied der Na­to zu wer­den.» Aber: «Die Auf­nah­me ei­nes neu­en Mit­glieds soll­te nicht nur ihm ein Mehr an Si­cher­heit brin­gen, son­dern auch der Na­to.» 

Dabei sah sie Risiken hinsichtlich der vertraglich abgesicherten Präsenz der russischen Schwarzmeerflotte auf der ukrainischen Halbinsel Krim. «Ei­ne sol­che Ver­qui­ckung mit rus­si­schen Mi­li­tär­struk­tu­ren hat­te es bis­lang bei kei­nem der Na­to-Bei­tritts­kan­di­da­ten ge­ge­ben. Au­ßer­dem un­ter­stütz­te da­mals nur ei­ne Min­der­heit der ukrai­ni­schen Be­völ­ke­rung ei­ne Mit­glied­schaft des Lan­des in der Nato», erinnert sie sich.

«Ich hielt es für ei­ne Il­lu­si­on an­zu­neh­men, dass der MAP-Sta­tus (Beitrittskandidaten-Status) der Ukrai­ne und Ge­or­gi­en Schutz vor Pu­tins Ag­gres­si­on ge­ge­ben hät­te, dass al­so die­ser Status so ab­schre­ckend ge­wirkt hät­te, dass Pu­tin die Ent­wick­lun­gen ta­ten­los hin­ge­nom­men hät­te. Wä­re es da­mals im Ernst­fall vor­stell­bar ge­we­sen, dass die Na­to-Mit­glied­staa­ten mi­li­tä­risch – mit Ma­te­ri­al wie mit Trup­pen – ge­ant­wor­tet und ein­ge­grif­fen hät­ten? Wä­re es vor­stell­bar ge­we­sen, dass ich als Bun­des­kanz­le­rin den Deut­schen Bun­des­tag um ein sol­ches Man­dat auch für un­se­re Bun­des­wehr ge­be­ten und da­für ei­ne Mehr­heit be­kom­men hät­te?»

Am Ende stand ein Kompromiss, der aber einen Preis hatte, wie Merkel schreibt: «Dass Ge­or­gi­en und die Ukrai­ne kei­ne Zu­sa­ge für ei­nen MAP-Sta­tus be­ka­men, war für sie ein Nein zu ih­ren Hoff­nun­gen. Dass die Na­to ih­nen zu­gleich ei­ne ge­ne­rel­le Zu­sa­ge für ih­re Mit­glied­schaft in Aus­sicht stell­te, war für Pu­tin ein Ja zur Na­to-Mit­glied­schaft bei­der Län­der, ei­ne Kampf­an­sa­ge.»

Begegnungen mit Trump

Bei ihrem ersten Treffen mit dem damals neu gewählten US-Präsidenten befragte der sie 2017 im Oval Office des Weißen Hauses nach ihrem Verhältnis zu Putin. «Der rus­si­sche Prä­si­dent fas­zi­nier­te ihn of­fen­bar sehr. In den fol­gen­den Jah­ren hat­te ich den Ein­druck, dass Po­li­ti­ker mit au­to­kra­ti­schen und dik­ta­to­ri­schen Zü­gen ihn in ih­ren Bann zo­gen», schreibt Merkel.

Die anschließende Pressekonferenz gestaltete sich schwierig. Trump habe Deutschland Vorhaltungen gemacht, sie habe mit Zahlen und Fakten geantwortet. «Wir re­de­ten auf zwei un­ter­schied­li­chen Ebe­nen. Trump auf der emo­tio­na­len, ich auf der sach­li­chen… Ei­ne Lö­sung der an­ge­spro­che­nen Pro­ble­me schien nicht sein Ziel zu sein», erinnert sie sich. «Es kam mir vor, als ob er es dar­auf an­leg­te, sei­nem Ge­sprächs­part­ner ein schlech­tes Ge­wis­sen zu machen. Als er merk­te, dass ich en­er­gisch da­ge­gen­hielt, be­en­de­te er un­ver­mit­telt sei­ne Ti­ra­de und wech­sel­te das The­ma. Gleich­zei­tig woll­te er, so mein Ein­druck, sei­nem Gesprächspart­ner auch ge­fal­len.»

Trump habe alles aus der Perspektive des Immobilienunternehmers gesehen, der ein Grundstück haben wolle. «Für ihn stan­den al­le Län­der mit­ein­an­der in ei­nem Wett­be­werb, bei dem der Er­folg des ei­nen der Miss­er­folg des an­de­ren war. Er glaub­te nicht, dass durch Ko­ope­ra­ti­on der Wohl­stand al­ler ge­mehrt wer­den konn­te.»

Ratschlag von ganz oben

In ihrer Privataudienz bei Papst Franziskus wenige Monate später sprach Merkel ihre Sorge an, dass sich die USA unter Trump aus dem Pariser Klimaabkommen zurückziehen. «Oh­ne Na­men zu nen­nen, frag­te ich ihn, wie er mit fun­da­men­tal un­ter­schied­li­chen Mei­nun­gen in ei­ner Grup­pe von wich­ti­gen Per­sön­lich­kei­ten um­ge­hen wür­de. Er ver­stand mich so­fort und ant­wor­te­te mir schnör­kel­los: »Bie­gen, bie­gen, bie­gen, aber ach­ten, dass es nicht bricht.« Die­ses Bild ge­fiel mir.»

Umgang mit einem Rüpel

Denkwürdig auch die Szene, mit der Merkel 2005 ins Amt kam: als nämlich SPD-Kanzler Gerhard Schröder in der Fernsehrunde am Abend der Bundestagswahl seine Niederlage nicht eingestehen wollte und der – allerdings denkbar knappen – Siegerin in rauem Ton prophezeite, seine Partei werde ihr niemals als Koalitionspartner ins Kanzleramt verhelfen. «Ich selbst saß da, als wä­re ich gar nicht Teil des Gan­zen, son­dern als schau­te ich mir zu Hau­se vor dem Fern­se­her die Sze­ne an. Im­mer wie­der sag­te ich mir: Be­gib dich nicht mit den an­de­ren in den Clinch, dann fängst du auch noch an, dich im Ton zu ver­grei­fen. Mir war voll­kom­men klar, dass ich et­was Be­son­de­res er­leb­te, aber al­les lief eher un­be­wusst ab. Ich be­zwei­fel­te sehr, ob Ger­hard Schrö­der ei­nem Mann ge­gen­über ge­nau­so auf­ge­tre­ten wä­re», erinnert sich die Frau, die danach noch 16 Jahre lang regieren sollte.

Quelle: dpa

 

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